Vor dem Weltcup-Start 2024/2025

Das Ende der Doppelbelastung

Die deutsche Nationalmannschaft reist mit 15 Athletinnen und Athleten sowie sechs Guides zum Auftakt nach Finnland. Unter ihnen sind vier, die ihr Debüt feiern und zwei, die seit diesem Sommer als Profis unterwegs sind.

Nico Messinger beim Zieleinlauf beim Sprint in Toblach im Januar 2024. Foto: newspower.it

Ganz schön frech wäre es, Nico Messinger einen alten Mann zu schimpfen; der Mann ist schließlich nach seinem Geburtstag am morgigen Mittwoch gerade mal 30 Jahre jung. Ein bisschen alt kam sich der Para Skilangläufer und Para Biathlet vom Ring der Körperbehinderten Freiburg in diesem Sommer dennoch vor, als er sich mit den Sportlerinnen und Sportlern verglich, die – wie er – ins Zoll Ski Team aufgenommen wurden. „Die waren praktisch alle zehn Jahre jünger als ich“, berichtet er schmunzelnd.

An seiner Freude änderte das nichts. Sie hat mehrere Gründe. Die Aufnahme ins 74 Mitglieder starke Team der Spitzensportförderung ist eine Würdigung vieler harter Trainings- und Wettkampfjahre. Der Zoll fördert Nationalkader-Athletinnen und -Athleten des Deutschen Ski- bzw. Deutschen Behindertensportverbands, die „die Perspektive besitzen, den schwierigen Sprung in die Weltspitze zu schaffen“. Messinger, der erstmals 2011 bei einem Para Weltcup startete, hat sich dort spätestens durch seine Medaillen bei der WM 2023 in Östersund (1x Gold, 2x Silber, 1x Bronze) fest etabliert.

Das ist insofern bemerkenswert, weil er im Kontrast zu vielen Konkurrenten anderer Nationen lange nicht unter Profibedingungen trainierte, sondern parallel als Automobilkaufmann tätig war. Die Doppelbelastung ist nun weggefallen. Das heißt: voller Fokus auf den Sport und mehr Ruhepausen. „Früher bin ich vor der Arbeit zum Training und hinterher wieder zum Training. Diese Situation hat sich spürbar entspannt.“

Leonie Walter: Allein durch Norwegen  

Das Zoll Ski Team existiert bereits seit 1952. Seit 2017 sind Para Ski alpin-Fahrerinnen dabei, seit 2023 Messingers Teamkollegen Anja Wicker und Marco Maier, nun stießen Leonie Walter und er dazu. Lange hat der Para Skisport auf eine Anpassung der Förderbedingungen an die im olympischen Bereich hingearbeitet. Nun vollzieht sie sich langsam und die Dankbarkeit ist groß. „Die Absicherung durch den Zoll nimmt uns viel Druck“, verrät Marco Maier. Und Anja Wicker, die vor ihrer 16. Weltcup-Saison steht, ergänzt: „Wenn wir dauerhaft wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir uns auf den Sport konzentrieren können.“

„Eine richtig coole Sache“, findet es Leonie Walter, dass sie durch das Zoll Ski Team die Chance bekommen hat, mit dem Sport ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die 20-Jährige aus St. Peter im Hochschwarzwald ist bereits Doppel-Weltmeisterin und Paralympics-Siegerin bei den Frauen mit Sehbeeinträchtigung. Dass sie vor großen Herausforderungen nicht zurückschreckt, bewies sie in diesem Sommer. Im Anschluss an das vom Langlauf-Weltverband FIS organisierte International Junior Camp in Sjusjøen begab sie sich (genau wie ihre ebenfalls nach Norwegen gereiste Teamkollegin Linn Kazmaier) allein auf Wanderschaft auf dem Olavsweg, einem Pilgerpfad in dem skandinavischen Land.

Als Sehbehinderte auf eigene Faust und ohne Begleitung über mehrere Tage hinweg zwischen 150 und 200 Kilometer von Oppdal nach Trondheim laufen zu wollen – diese Ankündigung, so berichtet sie es, hatte in ihrem Umfeld Skepsis ausgelöst. Leonie Walter zog es durch. „Du musst das eben vorher gut planen. Und es war zwar an manchen Stellen schwierig mit der Navigation. Aber im Großen und Ganzen hat alles geklappt wie geplant.“ Für die 20-Jährige war es ein Erlebnis mit mächtigem Nachhall. „Ich habe mir bewiesen, dass ich neue Wege gehen und mich auch in fremden Umgebungen orientieren kann.“

Großes Team mit unterschiedlichem Fokus

Den Bundestrainer Ralf Rombach hat sie mit ihrer Reise beeindruckt. „Ich habe den Eindruck, sie ist durch die Zeit dort noch einmal gereift“, sagt Rombach. In ihrer Startklasse zählt Leonie Walter zum Saisonauftakt – zumindest auf dem Papier – zu den Topfavoritinnen. Die Doppel-Gesamtweltcup-Siegerin 2023/2024, Linn Kazmaier, steigt nach längerer Pause in Finnland erst wieder ins Training ein. Johanna Recktenwald startet in Vuokatti mit der Debütantin Louisa Haag vom SV Kirchzarten als Begleitläuferin. Deren Vorgänger Pirmin Strecker hat seine Karriere als Guide beendet.

Ein deutsches Trio gibt es auch bei den Männern mit Sehbeeinträchtigung. Neben Nico Messinger und dem Münchner Lennart Volkert ist erstmals Theo Bold aus dem schwäbischen Rottenburg dabei. Der 18-Jährige, der von seinem zwei Jahre älteren Bruder Jakob als Guide begleitet wird, gilt als vielversprechendes Talent. In Vuokatti konzentriert er sich allein auf den Langlauf. Im Klassisch-Sprint am 17. Dezember wollen sich die Bolds das Ticket für ein besonderes Ereignis sichern: das Weltmeisterschaftsrennen in dieser Disziplin, das im Rahmen der nordischen Ski-WM Anfang März in Trondheim über die Bühne geht – somit starten Athletinnen und Athleten mit und ohne Behinderung parallel zur gleichen Zeit am gleichen Ort.

Zwei weitere reine Langlauf-Spezialisten hat das Team in Sebastian Marburger und Maximilian Weidner in der Startklasse der Männer stehend zu bieten, in der Deutschland mit insgesamt sechs Athleten besonders stark vertreten ist. Neben den Arrivierten Alexander Ehler, Steffen Lehmker (startet nur im Biathlon) und Marco Maier steht der in Rottweil geborene und in Freiburg lebende Max Long (18) vor seiner Premiere. Drei Sitzski-Athletinnen komplettieren das Aufgebot: Andrea Eskau, Merle Menje und Anja Wicker.

Drei WM-Stationen im Februar und März

Dass sie sich im Rahmen der nordischen Ski-WM in Trondheim vor großem Publikum präsentieren können, ist für viele Athletinnen und Athleten das Highlight der Saison. Es ist aber nicht das einzige. Anfang Februar warten bereits die Para Biathlon-Weltmeisterschaften in Pokljuka (Slowenien), weitere Langlauf-WM-Rennen folgen kurz darauf in Toblach in Südtirol. Bei den FISU Welt-Hochschulmeisterschaften Mitte Januar in Pragelato (Italien) treten Marco Maier, Johanna Recktenwald, Lennart Volkert und Leonie Walter an.

Der Wettkampfkalender sieht im Vergleich zu den vergangenen Jahren viele Stationen und Ortswechsel vor, was mit einigen logistischen Herausforderungen verbunden ist. „Im Para Sport bedeutet Reisen immer einen höheren Aufwand als im Nichtbehinderten-Bereich“, sagt Ralf Rombach, der nach der Saison aus den Erfahrungen des Winters Lehren ziehen und mit den Verantwortlichen von FIS und dem Biathlon-Weltverband IBU diskutieren will. Doch das hat Zeit. Nun steht erst einmal der Saisonstart an. 22 Nationen haben für Vuokatti gemeldet. Die Vorfreude könnte kaum größer sein.

 

Das deutsche Aufgebot für den Weltcup-Start (Name, Alter, Geburtsort, Verein):

Frauen mit Sehbeeinträchtigung: Linn Kazmaier (18 / Nürtingen / SZ Römerstein, Guide: Florian Baumann / 23 / Nürtingen / SZ Uhingen), Johanna Recktenwald (23 / St. Wendel / Biathlon-Team Saarland, Guide: Louisa Haag / 18 / Kirchzarten / SV Kirchzarten), Leonie Walter (20 / Freiburg / SC St. Peter, Guide: Christian Krasman / 23 / Stühlingen / Ski-Club Schönwald)

Frauen sitzend: Andrea Eskau (53 / Apolda / USC Magdeburg), Merle Menje (20 / Mainz / StTV Singen), Anja Wicker (32 / Stuttgart / MTV Stuttgart)

Männer mit Sehbeeinträchtigung: Theo Bold (18 / Velbert / WSV Isny, Guide: Jakob Bold / 20 / Essen / WSV Isny), Nico Messinger (29 / Freiburg / Ring der Körperbehinderten Freiburg, Guide: Robin Wunderle / 26 / Freiburg / SC Todtnau), Lennart Volkert (21 / Berlin / PSV München, Guide: Nils Kolb / 22 / Freiburg / SV Kirchzarten)

Männer stehend: Alexander Ehler (55 / Leninogorsk (KAZ) / SV Kirchzarten), Steffen Lehmker (35 / Uelzen / WSV Clausthal-Zellerfeld), Max Long (18 / Rottweil / SV Kirchzarten), Marco Maier (24 / Oberstdorf / SV Kirchzarten), Sebastian Marburger (27 / Frankenberg (Eder) / SK Wunderthausen), Maximilian Weidner (34 / Passau / WSV-DJK Rastbüchl)

 

Der Zeitplan für Vuokatti:

Donnerstag, 12. Dezember: Biathlon Sprint (7,5 km)

Samstag, 14. Dezember: Biathlon Einzelrennen (12,5 km)

Sonntag, 15. Dezember: Biathlon Sprint-Verfolgung (2,4 km für sitzende Klasse, 3,6 km für stehende Klassen)

 

Dienstag, 17. Dezember: Langlauf-Sprint, 0,8 km für sitzende Klasse, 1,2 km für stehende Klassen, klassisch

Donnerstag, 19. Dezember: Langlauf 10 km im freien Stil, Einzelstart

Freitag, 20. Dezember: Langlauf 10 km im freien Stil, Massenstart

 

Übersicht über alle Ergebnisse und Termine:

Para Langlauf: https://www.fis-ski.com/DB/para-snowsports/para-nordic/calendar-results.html

Para Biathlon: https://www.biathlonworld.com/inside-ibu/para-biathlon/para-biathlon-calendar-results

 

Foto: newspower.it

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