WC Vuokatti, Biathlon-Wochenende
Zielsicher in der Gefrierkammer
Leonie Walter und Anja Wicker holen bei Temperaturen um die minus 16 Grad die ersten Saisonsiege des jungen Winters. Alexander Ehler überrascht.
Ob sie denn ihre Finger überhaupt noch bewegen könne, wurde Anja Wicker am Sonntagmittag gefragt. Die 32-Jährige vom MTV Stuttgart antwortete mit dem ihr eigenen Humor. „Finger? Welche Finger?“. In den Knochen der Athletin aus der Startklasse der sitzenden Frauen steckten zu diesem Zeitpunkt zwei Biathlon-Wettbewerbe innerhalb von rund 24 Stunden im klirrend kalten Vuokatti, das Einzelrennen über 12,5 Kilometer und die Sprint-Verfolgung, bei der es für sie sogar zweimal auf die 2,4 Kilometer lange Sitzski-Strecke ging – zunächst in der Qualifikation, dann im Finale.
„Es waren zwei extrem harte Tage. Umso stolzer bin ich über meine Leistungen“, sagte Wicker – und sie war das vollkommen zurecht. Läuferisch zeigte sie sich unbeeindruckt von den Bedingungen und am Schießstand gab sie 40-mal in Folge ihren Fingern im richtigen Moment den Befehl zum Abdrücken. Null Fehler bei vier Schießeinlagen und die eindrucksvolle Leistung in der Loipe – das bedeutete im Einzel am Samstag (wie schon im Sprint am Donnerstag zuvor) Platz zwei hinter der US-Amerikanerin Kendall Gretsch und am Sonntag (in Abwesenheit von Gretsch) den durch und durch souveränen Sieg. „Anja ist – auch wenn man die Vergleichszeiten der Männer herzieht, sehr stark gelaufen“, sagte der Bundestrainer Ralf Rombach.
Ohne jeden Fehl und Tadel blieb am Samstag und am Sonntag auch Leonie Walter (SC St. Peter) bei den Frauen mit Sehbeeinträchtigung. „Ich habe mich am Schießstand sehr sicher gefühlt, obwohl ich aufpassen musste, dass mir die Finger nicht einfrieren und ich den Abzug noch spüre“, berichtete die 20-Jährige. Weil sie alle Scheiben traf und auch in der Loipe überzeugte, gewann sie an der Seite ihres Guides Christian Krasman beide Wettkämpfe – jeweils vor der Chinesin Yue Wang, der sie sich am Donnerstag noch hatte geschlagen geben müssen. Johanna Recktenwald beendete alle Rennen als Dritte, am Samstag wie schon am Donnerstag an der Seite von Ersatz-Guide Florian Baumann, am Sonntag erstmals mit der von einer Erkältung wiedergenesenen Louisa Haag als Begleitläuferin.
Marco Maier holt Silber in der Verfolgung
Zweimal als Vierter knapp am Podium vorbei lief Alexander Ehler (SV Kirchzarten) bei den Männern der stehenden Klasse. Für den 55-jährigen Oldie im Team war es dennoch ein großer Erfolg. Weil er die Schieß-Sicherheit, die er im Training konstant zeigt, nun endlich einmal auf die Rennen übertrug – Ehler blieb wie Wicker und Walter ohne Fehler – und weil er erneut unter Beweis stellte, dass er sich läuferisch vor den teils deutlich jüngeren Konkurrenten alles andere als verstecken muss. „Dabei konnte ich mich vor Kälte kaum bewegen“, sagte Ehler lachend. „Richtig gut“, fand Ralf Rombach die Leistung seines Routiniers.
Im Einzel am Samstag sorgten Marco Maier (SV Kirchzarten) als Fünfter und Steffen Lehmker (WSV Clausthal-Zellerfeld) als Achter für ein sehr erfreuliches Mannschaftsergebnis, der Weltcup-Debütant Max Long (SV Kirchzarten) wurde 17. Am Sonntag liefen Lehmker auf den 13. und Long auf den 18. Platz. Maier verpasste als Zweiter hinter dem Kanadier Mark Arendz den Sprint-Verfolgungs-Sieg um 26,44 Sekunden. Zum Verhängnis wurde dem 24-jährigen Allgäuer ein Fehler beim letzten Schießen, durch den er in die Strafrunde musste. „Ärgerlich! Wenn ich den Treffer setze, gehen Mark und ich zusammen raus. Dann wird es wahrscheinlich bis zur Ziellinie spannend“, sagte er. Seine Laufleistung stimmte ihn dagegen positiv. „Ich kann vorne mithalten, das habe ich in den drei Biathlon-Rennen in Vuokatti gesehen.“ Und das sah auch der Bundestrainer. „In der Loipe ist Marco derzeit der Schnellste der Konkurrenz“, stellte er fest. Ein gutes Zeichen für die Langlauf-Wettbewerbe, die am Dienstag mit dem Klassik-Sprint beginnen?
Keine Chance aufs Podium hatten – geschwächt von gesundheitlichen Problemen infolge der extremen Kälte in Kombination mit der hohen Luftfeuchtigkeit – Andrea Eskau (USC Magdeburg) bei den Frauen sitzend und die beiden Männer mit Sehbeeinträchtigung, Nico Messinger (Ring der Körperbehinderten Freiburg, mit Guide Robin Wunderle) und Lennart Volkert (PSV München). „Ich komme mit diesen Bedingungen überhaupt nicht zurecht“, berichtete Messinger. Eskau handelte sich – aller Spaß beiseite – tatsächlich eine Erfrierung am Abzugsfinger ein, die sie massiv beeinträchtigte. Sie wurde am Samstag Sechste und am Sonntag Fünfte. Messinger kam zweimal auf Platz sieben, Volkert wurde am Samstag mit Michael Huhn als Guide Neunter und am Sonntag mit Florian Baumann an der Seite Achter.
Weitere Informationen zu Para Ski nordisch von den Weltverbänden:
https://www.biathlonworld.com/inside-ibu/para-biathlon
https://www.fis-ski.com/para-cross-country
Foto: Vuokatti Sport